Mozart »The last six symphonies«
Es gibt diese Momente, da trifft man auf einen dieser Typen, die mit gerunzelter Stirn, leicht abgewandt, aber dennoch wissend, in einer feierlichen Mischung aus Arroganz und Mitleid verkünden: »Also wenn man die späten Mozart-Symphonien nicht kennt, dann kann man ja eigentlich auch gleich aufhören, sich mit klassischer Musik zu beschäftigen.« Und während man noch überlegt, ob man ihn mit einer ebenso feierlichen Mischung aus Arroganz und Mitleid aus dem Fenster werfen soll, fällt einem ein, dass die letzten sechs Mozart-Symphonien tatsächlich eine Art magischer Club sind. Und Clubs sind ja per se nicht schlecht.
Mozarts Symphonien Nummer 35 bis 41 sind also das, was die Leute hören, wenn sie so tun, als ob sie nur noch eine halbe Stunde zu leben hätten und in dieser Zeit noch »das Wesentliche« genießen wollen. Ein musikalischer Espresso, der alles in sich trägt: Hochgefühl, Melancholie, Struktur, Witz, Drama und diesen seltsamen Optimismus, den Mozart selbst in seine düstersten Momente hineingewoben hat.
Nun gibt es zu diesen späten Symphonien Unmengen an Aufnahmen. Jede hat ihre Daseinsberechtigung, manche mehr als andere, und einige sind auch einfach nur da, weil irgendjemand das Gefühl hatte, der Welt fehle noch genau diese eine Interpretation, obwohl die Welt bereits randvoll mit Interpretationen ist. Aber wenn man eine Aufnahme als die Referenzaufnahme bezeichnen müsste – ein Wort, das man sich am besten in Großbuchstaben denken sollte, um seinen suggestiven Nachdruck zu erhöhen – dann kommt man an Bruno Walter mit dem Columbia Symphony Orchestra nicht vorbei. Oder, um es präziser zu sagen: Man kann natürlich dran vorbei, aber dann sollte man sich auf ein Leben voller kritischer Blicke aus dem imaginären Hinterzimmer der Musikgelehrten einstellen.
Bruno Walter, der so sehr Mozart war, dass man ihn eigentlich nur mit einer Perücke und einer federleichten Rokoko-Haltung hätte auftreten lassen sollen, war in seiner Zeit das, was man einen »Mozart-Menschen« nennen könnte. Andere Dirigenten hatten Beethoven, Brahms oder das Bedürfnis, immer ein bisschen lauter als nötig zu dirigieren. Aber Walter war Mozart – mit all seiner Leichtigkeit, seiner Wärme, seinem unerschütterlichen Gespür für die Schönheit in der Musik. Und was macht diese Einspielung so besonders? Nun, sie hat eben genau das: Wärme. Natürlichkeit. Kein hart erarbeitetes Historismusgehabe, sondern einfach Mozart, der sich so anhört, als würde er nach einem gelungenen Abendessen noch einen Tanz spielen, bevor er sich zufrieden zurücklehnt.
Natürlich kam später George Szell daher und sagte: »Ich kann das auch, aber mit mehr Klarheit!« Und er hatte Recht. Und dann kamen die historisch informierten Ensembles und sagten: »Ja, aber eigentlich muss das ganz anders klingen!« Und sie hatten auch Recht. Und dann kam der Punkt, an dem man einfach die Erkenntnis akzeptieren musste: Es gibt viele Wahrheiten in der Musik. Aber eine davon ist, dass Bruno Walter Mozart so spielte, dass man Mozart glauben wollte, er habe sich genau so gehört.
Und das ist am Ende vielleicht die schönste Wahrheit von allen.
Komponist: Wolfgang Amadeus Mozart
Titel: Mozart: The Last Six Symphonies (Remastered)
Dirigent: Bruno Walter
Orchester: Columbia Symphony Orchestra
Erschienen bei: Sony Classical