Richard Wagner »Der Ring des Nibelungen«
Der Ring des Nibelungen – Soltis Klang-Weltwunder aus dem Maschinenraum der Götterdämmerung
Manche Aufnahmen hört man. Andere besitzt man, einfach weil sie eine eigene Gravitation entwickeln – sei es durch Gewicht, Geschichte oder pure Klanggewalt. Die Solti-Einspielung von Wagners Ring des Nibelungen, ursprünglich auf DECCA erschienen, gehört zu jener seltenen Kategorie von Aufnahmen, die mehr sind als Musik: Monumente, Mythen, Meilensteine.
Diese Edition – ob nun in ihrer legendären Deluxe-Ausgabe mit lederbezogenen Büchern und schwergewichtiger Ausstattung oder als platzsparend nachverdichtete CD-Box – verkörpert bis heute den Inbegriff dessen, was man gemeinhin als „Referenzaufnahme“ bezeichnet. Nicht, weil sie unumstritten wäre. Sondern weil sie Geschichte geschrieben hat – buchstäblich und klanglich.
Ein Ring, sie zu knechten – und ein Label, das wusste, wie man’s verkauft
Beginnen wir mit einer kleinen historischen Einordnung: Die Solti-Einspielung war die erste komplette Studioaufnahme des Rings durch ein großes Label. Das allein macht sie zum Meilenstein – sie hat das Konzept „Ring auf Tonträger“ überhaupt erst verkaufbar gemacht. Vorher kursierten bestenfalls verwackelte Mitschnitte aus Bayreuth – halb illegal, halb unhörbar, mit Mikrofonen, die offenbar in der Jackeninnentasche des Pausenbuffetpersonals versteckt waren.
DECCA dagegen inszenierte den Ring wie ein James-Bond-Film mit Anhang in Hardcover. Es gab Buchveröffentlichungen zur Entstehung (Ring Resounding von John Culshaw), Analysen von Derek Cooke, Ausgaben mit Libretto, Ausgaben ohne Libretto, Boxen mit allem und Boxen mit allem außer Inhalt. Heute würde man sagen: Eine crossmediale Markenstrategie mit hoher Wiederverwertungsquote. Damals nannte man es schlicht: eine Sensation.
Solti, der Anti-Kult-Dirigent, der zum Kult wurde
Georg Solti war zu Beginn des Projekts 1958 kaum bekannt – man wollte ursprünglich George Szell, aber der lehnte ab, weil er nicht seine Wunschbesetzung bekam (also quasi aus Prinzip). Solti sprang ein – und wurde durch diese Produktion zum Star. Nicht weil er berühmt war, durfte er den Ring dirigieren – sondern weil er den Ring dirigierte, wurde er berühmt.
Und wie er das tat! Das Wiener Philharmoniker-Orchester spielt mit der Klarheit eines Messingkompasses. Die Klangqualität war – für damalige Verhältnisse – fast grotesk gut. Hört man das Anfangsgeblubber im Rhein oder die Anvil-Szene in Das Rheingold, möchte man glauben, jemand habe in den 60ern ein Mikrofon unter Wotans Bart versteckt.
Ein Cast wie aus dem Götterverzeichnis
Die Besetzung liest sich wie das Gästebuch im Wagnerhimmel:
Birgit Nilsson als Brünnhilde in absoluter Stimmgewalt – kein Vibrato zu viel, kein Heldenpathos zu wenig.
Wolfgang Windgassen als Siegfried, Hans Hotter als Wotan, James King, Christa Ludwig, Gustav Neidlinger als schillernd dämonischer Alberich – es ist ein Fest.
Flagstad, obwohl in die Jahre gekommen, adelt ihre Fricka wie eine Hohepriesterin, die auch im Altersheim noch einen Blick hat, der Speere zum Erzittern bringt.
Ein Studio-Ring, der nie nach Studio klingt
Die Aufnahme entstand über Jahre – 1958 bis 1965. In einer Zeit, als man sich noch Zeit nahm. Und obwohl sie nicht live ist, besitzt sie eine Dramaturgie, die wie Bühnenluft riecht. Man spürt: Hier wollte jemand nicht einfach eine Oper aufnehmen, sondern ein Monument meißeln.
Kritiker werfen Solti manchmal vor, er sei zu direkt, zu wenig „konzeptionell“, zu „hochgepeitscht“. Aber was dabei oft übersehen wird: Genau dieser Zugriff macht den Ring lebendig, stellt ihn nicht ins Museum, sondern auf die große Bühne – direkt vor uns, mit Wucht, Farbe und Tempo. Keine Referenzaufnahme wurde je so konsequent zur Referenz gemacht wie diese.
Klangliches Gesamtkunstwerk oder audiophiler Zirkuselefant?
Es gibt Stimmen, die sich gegen diese Aufnahme wenden. Die sagen: „Ich bevorzuge Kempe. Oder Böhm. Oder Krauss. Oder Karajan, aber nur in Japan auf Vinyl.“
Und das ist völlig legitim. Wagnerianer sind nun mal von Natur aus etwas – nennen wir es: engagiert.
Aber zu sagen, Solti sei nicht wichtig – das ist in etwa so plausibel wie zu behaupten, Wagners Werk sei im Grunde überbewertet und es reiche, Tristan & Isolde als Playlist zu streamen.
Fazit
Die Solti-Aufnahme des Ring des Nibelungen ist nicht nur ein audiophiles Erlebnis – sie ist ein kulturhistorischer Meilenstein mit Klappentext. Ein Triumph von Produktion, Besetzung, Klangqualität und – ja – Marketing. Ohne sie wäre vieles, was wir heute als selbstverständlich betrachten (z. B. einen kompletten Ring auf Streamingdiensten), niemals entstanden.
Natürlich darf man andere Aufnahmen lieben. Vielleicht sogar mehr. Aber diesen Ring zu ignorieren, wäre, als würde man behaupten, die Mondlandung sei für die Raumfahrtgeschichte völlig irrelevant gewesen, weil heute ja auch Menschen in der ISS schlafen.
Wer hören will, was möglich war, als ein Label noch wusste, was es tat, und ein Dirigent etwas zu beweisen hatte, der greife zu Solti. Oder besser: der hebe Solti. Diese Box ist schwer. Und das im besten Sinne.
Komponist: Richard Wagner
Titel: Der Ring des Nibelungen
Dirigent: Sir Georg Solti
Orchester: Wiener Philharmoniker
Erschienen bei: Decca Music Group Ltd.
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