Verdi »Requiem«
Es gibt Aufnahmen, die sind so gut, dass man fast Angst hat, darüber zu schreiben – aus Furcht, sie nicht angemessen zu würdigen. Und dann gibt es Aufnahmen, die so gut sind, dass man sich auf den nächsten Stromausfall freut (eine angemessene Stromautarkie vorausgesetzt), nur um sie in vollkommener Dunkelheit mit maximaler Hingabe zu erleben. Die Verdi-Requiem-Einspielung von Robert Shaw mit dem Atlanta Symphony Orchestra & Chorus gehört zur zweiten Kategorie.
Nun, Verdis Requiem hat ja das Glück (oder das Pech), unzählige herausragende Aufnahmen bekommen zu haben. Es ist ein Stück, das Dirigenten gerne zur Krönung ihres Lebenswerks aufzeichnen – oder zur Demonstration der eigenen Schwächen. Und ja, bevor jemand empört aufspringt: Es gibt viele, viele große Interpretationen. Aber diese hier? Die ist ein Kraftwerk in Notenform.
Robert Shaw – der Mann, der Chöre formte wie Michelangelo Marmorblöcke – war vielleicht nicht der aufregendste Orchester-Dirigent. Aber wenn es um Gesang ging, wusste er, wie man Menschen zu übernatürlichen Leistungen bringt. Sein Requiem ist keine matte Kirchenandacht, sondern ein klanggewordenes Fegefeuer. Es beginnt mit der nötigen Ehrfurcht, aber wenn das "Dies irae" losbricht, dann ist es vorbei mit besinnlichem Kerzenschein. Das ist kein laues Lamentieren, das ist ein Donnerwetter, das Dante gefallen hätte.
Die Balance zwischen Chor und Orchester ist sensationell. Man hört alles, ohne dass es sich gegenseitig erdrückt. Viele Dirigenten klingen hier wie Filmkomponisten auf Testosteron, Shaw dagegen hält die Zügel fest und gibt dem Ganzen einen fast unheimlichen Fokus. Und dann die Solisten: Susan Dunn (leuchtender Sopran), Diane Curry (warm und tragfähig), Jerry Hadley (eine Offenbarung, so frisch und klar) und Paul Plishka (mit Grabesstimme, die Verdi wohl selig gemacht hätte). Ihre "Agnus Dei"-Passagen sind Gänsehaut pur, das "Libera me"? Absolute Erlösung.
Die Aufnahme selbst? Klar, transparent, voluminös. Die Telarc-Techniker haben hier keine halben Sachen gemacht. Und ja, das Ding hat einen Grammy gewonnen – was genau nichts bedeuten muss, aber in diesem Fall auch nicht völlig sinnlos ist. Wichtig ist, dass es eine dieser seltenen Aufnahmen ist, bei der nach dem letzten Takt nur noch eine Frage bleibt: "Noch mal?"
Fazit: Wer dieses Requiem noch nicht kennt, der sollte sich auf eine Offenbarung gefasst machen. Und wer es kennt, hört es ohnehin schon wieder.
Komponist: Giuseppe Verdi
Titel: Requiem & Operatic Choruses
Dirigent: Robert Shaw
Orchester: Atlanta Symphony Orchestra & Chorus
Erschienen bei: Telarc