Brahms »Ein deutsches Requiem«

Ein deutsches Requiem – Oder: Die Kunst des Trostes ohne falsche Bescheidenheit

Es gibt Requien, die sich mit Pauken und Trompeten dem Jüngsten Gericht widmen, bei denen Himmel und Hölle als konkurrierende Eventlocations um die Gunst der Seelen buhlen. Und dann gibt es Brahms’ Ein deutsches Requiem, das mit der kirchlichen Tradition des Totengedenkens ungefähr so viel zu tun hat wie eine gepflegte Tasse Tee mit einer italienischen Espresso-Bar: verwandt im Geiste, aber doch von ganz anderer Natur.

Brahms selbst wollte es zunächst Ein menschliches Requiem nennen, und genau das ist es: eine Art musikalisches Trostpflaster für die Lebenden, eine Sammlung nachdenklicher Meditationen über Vergänglichkeit, Abschied und das, was bleibt. Kein Fegefeuer, keine wütenden Engel mit flammenden Schwertern, sondern sanfte, fast zärtliche Betrachtungen über Trauer und Hoffnung – so, als wolle Brahms uns eine warme Decke umlegen und ein leises „Da, da… alles wird gut“ zuflüstern.

Die perfekte Aufnahme? Natürlich nicht.

Nun ist das Stück oft genug aufgenommen worden, in sämtlichen Tempi und Stimmungen: heroisch und monumental (Klemperer), in mystischer Ergriffenheit (Karajan) oder mit dem Drive einer sterbensfrohen Jazz-Combo (zum Glück noch nicht). Doch eine der schönsten Einspielungen, die diese humanistische Idee in pure Klangform gießt, stammt von Herbert Blomstedt mit dem San Francisco Symphony Orchestra.

Hier ist nichts übertrieben, nichts auf Effekt getrimmt. Kein pseudoreligiöses Pathos, kein Zelebrieren der eigenen Ergriffenheit, sondern eine durch und durch aufrichtige Interpretation. Blomstedt weiß, dass Brahms in erster Linie für Menschen schrieb und nicht für entrückte Seraphim auf neobarocken Deckengemälden. Seine Solisten – Elisabeth Norberg-Schulz und Wolfgang Holzmair – verzichten auf das große Drama zugunsten einer warmen, fast kammermusikalischen Intimität. Und der Chor? Eine Offenbarung. Wer jemals einen müden Laienchor durch dieses Werk hat stolpern hören, der weiß, wie dünn der Grat zwischen „himmlisch“ und „Kantinenmontag um 13:45 Uhr“ sein kann.

Eine Musik, die lebt

Blomstedt zeigt uns ein Requiem, das nicht wie eine marmorierte Kathedrale auf dem Tonträger ruht, sondern lebt und atmet. Brahms selbst war ja kein sonderlich gläubiger Mensch, eher ein Agnostiker, der dennoch ahnte, dass der Mensch auf irgendeine Weise mit der Ewigkeit ringen muss. Und genau das passiert hier: Die Musik bleibt menschlich, voller Wärme, voller Licht, voller Sehnsucht nach einem Trost, den keine Theologie erklären kann.

Es gibt natürlich Hörer, die sich für ein Requiem ein bisschen mehr Todesverachtung wünschen – die mit Karajans gläsernem Überbau besser klarkommen oder mit Furtwänglers dunkler Ahnung des Weltendes. Aber für alle, die Musik nicht als sakrales Spektakel, sondern als tiefe, menschliche Erfahrung schätzen, dürfte Blomstedts Aufnahme genau die richtige sein.

Wer also mal wieder den Verdacht hat, dass die Welt ein wenig zu laut, zu hektisch und zu besinnungslos geworden ist – hier gibt es Trost. Und zwar ohne aufgesetzte Zerknirschung, sondern einfach nur mit einer Einladung zum Zuhören. So einfach kann das sein.


Komponist: Johannes Brahms

Titel: Brahms: Ein deutsches Requiem

Dirigent: Herbert Blomstedt

Orchester: San Francisco Symphony and Chorus

Erschienen bei: Universal Music Australia Pty. Ltd.


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