Oscars Motettkör »Cantate Domino«
Cantate Domino – oder: Wie man durch schwedische Luft in den Himmel hört
Wenn man sich in audiophilen Zirkeln lange genug aufhält – also etwa drei Minuten – fällt zwangsläufig irgendwann der Name Cantate Domino. Das ist dann der Moment, in dem jemand plötzlich sehr feierlich wird, die Stimme senkt und sagt: „Aber hast du es schon auf SACD gehört?“ Und ehe man sich versieht, spricht man über einen schwedischen Motettenchor, als handele es sich um einen entlegenen Weiler auf dem Planeten Krypton, von dem überirdische Aufnahmen zur akustischen Erleuchtung ausgesendet wurden.
Und tatsächlich: Dieses Album ist eine jener musikalischen Erscheinungen, die sich der Kategorisierung entziehen – und stattdessen einfach nur klingen. Nein: strahlen.
Die schwedische Kathedrale als Raummodell des Himmels
Aufgenommen im Jahr 1976 von einem gewissen Bertil Alving, der offenbar nicht nur über Mikrofone, sondern auch über ein ziemlich gutes Gespür für Luftfeuchtigkeit und Nachhall verfügte, wurde Cantate Domino in einer schwedischen Kathedrale eingefangen. Ich schreibe bewusst „eingefangen“, denn anders als bei vielen heutigen Aufnahmen scheint hier jemand gewusst zu haben, dass Klang auch aus dem Raum selbst besteht – nicht nur aus der Summe digital bereinigter Einzelquellen.
Der Chor – der übrigens auf den etwas schlagertauglich klingenden Namen Oscars Motettkör hört – wird von Torsten Nilsson geleitet. Wer dabei an eine Mischung aus Elchzüchter und Bach-Spezialist denkt, liegt vermutlich nicht ganz falsch. Es gelingt ihm, diesen sakralen Stücken eine Tiefe zu geben, bei der selbst Nichtgläubige in Erwägung ziehen, Mitglied einer nordischen Freikirche zu werden.
Die Dynamik? Unaufdringlich grandios. Die Klarheit? Wie frisch geputztes Fensterglas am ersten Frühlingsmorgen. Die Präsenz? Man hat das Gefühl, der Chor habe sich auf der Fensterbank zwischen den Lautsprechern niedergelassen, um eine kleine Adventsandacht nur für einen selbst abzuhalten – in guter Kleidung, wohlgemerkt.
Technik, die klingt, als hätte sie einen Talar an
Die SACD-Version ist für viele das Nonplusultra – auch wenn man den Eindruck hat, dass der Begriff „ultra“ hier bei jedem neuen Remaster neu definiert wird. Es gibt das K2HD-Mastering, es gibt DSD-Versionen, es gibt klangliche Varianten, die angeblich noch originaler klingen als das Original selbst. Und es gibt Menschen, die auf Nachfrage erklären, sie hörten am liebsten die Erstpressung von 1980 auf einem kalibrierten Thorens TD 124, aber nur bei Luftdruck unter 1020 hPa.
Fakt ist: Die späteren Versionen klingen – trotz aller audiophiler Alchemie – meist einfach fantastisch. Besonders die Basswiedergabe hat davon profitiert. Ursprünglich war sie wohl ein wenig – sagen wir: höflich. Jetzt ist sie präsent, aber nicht aufdringlich. So wie jemand, der weiß, dass er gefragt wurde, aber trotzdem leise spricht.
Musikalische Glanzlichter und ein Ausrutscher im Schnee
Zu den Höhepunkten gehören zweifellos das titelgebende Cantate Domino von Enrico Bossi und das herrlich triumphierende Hosianna Davids Son. Hier entfaltet sich die volle Schönheit des Chores – mit leuchtenden Sopränen, festlich schwebender Orgel und einem Blechbläserensemble, das klingt, als habe es die Erleuchtung in einem Zinnbecher serviert bekommen.
Marianne Mellnäs’ Sopran in Mariae Wiegenlied ist von einer Zerbrechlichkeit, die dennoch nie sentimental wirkt. Und Alf Linders Orgelspiel schwebt wie ein geschliffenes Kristallpendel über allem.
Einziger Wermutstropfen – oder besser gesagt: Glühwein mit Schuss – ist die Aufnahme von White Christmas. Sie wirkt im ansonsten streng sakralen Kontext ein wenig wie ein Fremdkörper. Vielleicht wollte man damals einfach international anschlussfähig sein. Oder jemand hatte im Studio eine sentimentale Minute. Man weiß es nicht. Jedenfalls klingt es ein bisschen wie Bing Crosby auf Skandinavisch – hübsch, aber irgendwie zu zuckrig.
Fazit: Ein Album wie frisch gefallener Schnee – nur mit Nachhall
Cantate Domino ist mehr als ein Album. Es ist ein akustisches Lichtspielhaus, ein Ort zwischen Andacht und audiophiler Verzückung. Man hört es nicht, um analysierend mit dem Kopf zu nicken – man hört es, um kurz nicht mehr zu wissen, wie laut Alltag eigentlich war. Und während die Welt draußen weiter plappert, legt man dieses Album auf – und hört zu, wie der Klang leise atmet.
Für Menschen mit Sinn für Musik, Raum, Tiefe und nordisches Understatement: eine klare Empfehlung.
Für alle anderen: Hört trotzdem mal rein. Es könnte euch passieren, dass ihr plötzlich nichts mehr verbessern wollt.
Komponist: Diverse
Titel: Cantate Domino
Dirigent: Torsten Nilsson
Chor: Oscars Motettkör
Erschienen bei: Proprius
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