Joni Mitchell »Travelogue«

»Travelogue« – Oder: Wie man seinen eigenen Songkatalog dekadent orchestriert

Es gibt Künstler, die im Laufe ihrer Karriere eine Art audiophiles Denkmal für sich selbst errichten. Ein Klangtempel mit hoher Decke, auf dass jedes Timbre seiner Stimme lange nachhallen möge. Joni Mitchells „Travelogue“ ist genau so ein Bauwerk – allerdings eher ein neobarockes Opernhaus mit aufwendigen Stuckverzierungen als ein schlichter, moderner Glaswürfel.

Mit „Travelogue“ hat die damals 59-jährige Joni Mitchell nicht einfach ein weiteres Best-of-Album veröffentlicht, sondern ihren Songkatalog in opulente Orchestergewänder gehüllt. „Best of“ klingt hier sowieso viel zu bescheiden – das Album ist eher ein selbstkuratierter Louvre mit den feinsten Exponaten aus ihrem Werk, diesmal jedoch unterlegt mit elegischem Streichersamt und dezenten jazzigen Holzbläsern. Die Arrangements stammen von Vince Mendoza, einem Mann, der vermutlich Notenpapier in Aquarellfarben taucht, um sanftere Klangverläufe zu erzielen.

Musikalische Qualität – ein Joni-typisches Understatement? Mitnichten.

„Travelogue“ ist kein simples Nostalgie-Album, sondern ein Statement. Ein spätes Werk, das demonstriert, wie sehr sich Mitchells Stimme über die Jahre verändert hat – von der einst ätherischen Höhenlage hin zu einem rauchigen, tiefen Alt, der sich wie dunkler Honig über die satten Orchesterarrangements legt.

Das Album ist mit seinen 22 Tracks auf zwei CDs nichts für zwischendurch. Es ist eher ein Konzertabend im eigenen Wohnzimmer, für den man sich Zeit nehmen muss – vorzugsweise mit einem guten Glas Rotwein und einem bequemen Sessel. Joni interpretiert ihre eigenen Klassiker auf eine Weise, die teils überraschend, teils feierlich, teils melancholisch ist. „The Circle Game“ beispielsweise ist nicht mehr das bittersüße Lied über die kreisende Zeit eines jungen Mädchens, sondern die reflektierte, beinahe resignierte Weisheit einer Frau, die das Karussell des Lebens lange genug beobachtet hat.

Klangqualität – oder: Wie viel seidene Opulenz ist zu viel?

Da „Travelogue“ ein Joni-Mitchell-Album ist, muss die Produktion natürlich höchsten Ansprüchen genügen. Achtung, liebe Audiophile! Dies ist ein Klangmonument, das eure sündhaft teuren Lautsprecher zum Klingen bringen wird – ob ihr wollt oder nicht. Die Arrangements sind weich wie Kaschmir, der Klang groß, weit, fast übernatürlich sauber. Wer auf knackige Snare-Drums oder ungeschliffene Live-Atmosphäre hofft, wird hier enttäuscht. Das Album ist eine makellose Studioaufnahme mit einem Orchester, das klingt, als sei es in einem kaiserlichen Konzertsaal unter perfekten akustischen Bedingungen eingefangen worden.

Das Problem – wenn man es denn als solches sehen will – ist, dass die Klangqualität fast schon zu gut ist. Die Produktion lässt keinen Platz für Ecken und Kanten. Die Atmosphäre ist so luxuriös, dass man fast glaubt, sich in einer Art musikalischem Wellness-Retreat zu befinden. Wer sich an die rohe Schönheit von Mitchells früheren Alben gewöhnt hat, könnte hier das Gefühl bekommen, dass die Songs etwas von ihrem ursprünglichen Biss verloren haben.

Fazit – Eine Klangkathedrale für Genießer

„Travelogue“ ist kein Album für Nebenbei-Hörer. Es ist eine klangliche Opernpremiere der besonderen Art, eine Hommage an das eigene Werk mit der Grandezza eines Spätwerks, das sich nicht mehr um Charts oder Radiospielzeit scheren muss. Ein audiophiler Traum für jene, die gerne in Klangteppichen versinken – und ein Stück Musikgeschichte für all jene, die hören wollen, wie ein Künstler sich selbst in orchestraler Form neu erfindet.

Ob man das nun als Dekadenz oder als musikalische Vollendung sieht, bleibt jedem selbst überlassen.


Titel: Travelogue

Musiker: Joni Mitchell

Erschienen bei: Nonesuch


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