Luke Howard »All of Us«

Luke Howards „All of Us“ – klanggewordene Nachdenklichkeit für Fortgeschrittene

Es gibt Komponisten, die sich in der Musikbranche benehmen wie die Dame in der ersten Reihe, die bei einer Mahler-Sinfonie bereits nach 90 Sekunden bedeutungsschwer seufzt, um alle wissen zu lassen, dass sie hier nicht nur Musik hört, sondern versteht. Und dann gibt es Luke Howard. Einer, der sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern lieber am Rand steht, leise, aber beharrlich. Sein Album All of Us ist genau so: ein Werk, das sich nicht lautstark aufdrängt, aber sich dennoch tief ins Gehör gräbt – eine Einladung zur akustischen Selbstreflexion.

Howard, der einst als Assistent von Ben Frost, Nico Muhly und Valgeir Sigurðsson die klanglichen Weiten von Ambient, Kammermusik und elektronischen Texturen auslotete, hat sich längst selbst als Meister der klanggewordenen Nachdenklichkeit etabliert. Als wäre Erik Satie mit Sigur Rós durch den australischen Outback spaziert und hätte dort festgestellt, dass Stille nicht die Abwesenheit von Klang ist, sondern ein Raum, den man mit Bedacht füllen sollte.

All of Us bewegt sich genau in diesem Raum: Klavier, Streicher, dezente elektronische Tupfer – alles fließt ineinander, als wäre es der Soundtrack für einen Film, der nie gedreht wurde, aber sich dennoch in den Köpfen der Zuhörer abspielt. Inspiration fand Howard angeblich in Albert Camus' Die Pest, einem Buch, das während der Pandemie viele auf ihren Nachttisch legten – und nach drei Kapiteln gegen eine weitere Staffel The Crown eintauschten. Die Idee, Isolation und Vergänglichkeit in Musik zu übersetzen, mag nahe liegen, doch Howard vermeidet pathetische Schwere. Stattdessen schwebt das Album in einem merkwürdigen Schwebezustand zwischen Melancholie und Trost, zwischen Rückzug und vorsichtiger Umarmung der Welt.

Dass Howard ein versierter Geschichtenerzähler ist, merkt man an Titeln wie The Closing of the Gates und The Opening of the Gates – als würde er das große Drama der kollektiven Erfahrung in minimalistische Musikformen gießen. Seine Musik ist wie das Geräusch von Regen auf einer Scheibe: Immer gleich, immer anders, und seltsam tröstlich.

Wer mit den Werken von Ólafur Arnalds, Max Richter oder Nils Frahm etwas anfangen kann, wird sich hier zuhause fühlen. Doch All of Us ist keine bloße Aneinanderreihung schöner Klangflächen. Es ist ein feinsinnig komponiertes Album, das sich mit der Zeit entfaltet und vielleicht genau deswegen länger nachhallt als so manches orchestrale Großprojekt, das sich mit cineastischen Streicherschwällen aufdrängt.

Ein Album für Menschen, die sich noch Gedanken machen – und für jene, die gern so tun.


Titel: All of Us

Interpret: Luke Howard

Erschienen bei: Mercury Classics


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