Mahler Symphonie Nr. 4

Die vierte Mahler und die Sache mit den Affen.

Es gibt gewisse Symphonien, die sich im Laufe der Zeit, ohne dass man genau sagen könnte warum, in eine Art diskographische Massenvermehrung verrennen. Man geht also nichtsahnend in ein Geschäft für Tonträger – ich bin alt genug, um mich noch an solche zu erinnern – und stellt fest, dass es von Mahlers Vierter mehr Aufnahmen gibt als von den ersten drei zusammen.

Ein besonders denkwürdiges Exemplar dieser Gattung ist Lorin Maazels Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern und Kathleen Battle. Maazel, eine Art musikalischer Doppelkinn-Joker, ist bekannt dafür, entweder überirdisch gut oder völlig exzentrisch zu dirigieren – was oft so zusammenfällt, dass der Zuhörer mit offenen Mundwinkeln vor der Stereoanlage sitzt und sich fragt, ob er gerade einer göttlichen Offenbarung oder einem Unfall mit einer Klarinetten-Sektion beiwohnt.

Maazel hatte ein geradezu bizarres Verhältnis zu Mahler, ähnlich einem Menschen, der vier verschiedene Waffeleisen besitzt, aber nicht sonderlich gern Waffeln isst. Drei komplette Mahler-Zyklen hat er aufgenommen, drei! Und weil das noch nicht genug war, hat er sich an der Vierten ganze viermal versucht, vermutlich aus einem tiefen metaphysischen Bedürfnis heraus oder weil Sony einfach nicht wusste, was es sonst mit ihm anstellen sollte.

Nun also diese Aufnahme. Und siehe da: Der Wahnsinn hat Methode! Die Wiener Philharmoniker, üblicherweise nicht die größten Mahler-Enthusiasten – man muss sie schon mit Taktstock und psychologischer Kriegsführung dazu bringen, ihm eine gewisse Zuneigung entgegenzubringen – spielen erstaunlich geschmeidig. Die Hörner glänzen, die Streicher singen, und Maazel, man mag es kaum glauben, zieht keine merkwürdigen Temposchwankungen durch, die den Zuhörer an den Moment erinnern, in dem der Busfahrer unvermittelt bremst und man sich ungewollt auf den Schoß eines Fremden setzt.

Kathleen Battle singt das Finale mit einer Anmut, die einen kurz darüber nachdenken lässt, ob der Himmel vielleicht doch ein angenehmerer Ort ist als das hiesige Diesseits mit seinen notorisch hustenden Konzertbesuchern. Und plötzlich passt alles zusammen: die warmen Klangfarben, die schimmernden Details, die Tatsache, dass sich keine musikalischen Fliegen in die Suppe verirren – es ist eine wunderbare Aufnahme!

Was also lernen wir daraus? Erstens: Gibt man einem Affen genug Zeit mit einer Schreibmaschine, tippt er irgendwann eine Beethoven-Sonate. Und zweitens: Gibt man Maazel genug Mahler-Vierten, kommt irgendwann eine Aufnahme heraus, die tatsächlich Sinn ergibt.

Und das ist, wenn man es genau betrachtet, eine der tröstlichsten Einsichten der gesamten Musikgeschichte.


Komponist: Gustav Mahler

Titel: Symphonie No. 4

Dirigent: Lorin Maazel

Orchester: Wiener Philharmoniker

Erschienen bei: Sony Classical


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