Mahler Sinfonie Nr. 1

Mahler 1 – Riccardo Muti und die Kunst, frisch zu bleiben

Manchmal sind es gerade die Dinge, die nicht geplant waren, die besonders gelingen.
Riccardo Muti und Gustav Mahler – das klingt zunächst wie ein klassisches »Nö, eigentlich nicht«.
Mutis Name taucht selten auf, wenn es um Mahler geht. Keine Zyklen, keine ikonischen Gesamtaufnahmen, keine großen Mahler-Festivals, die seinen Namen tragen.
Und doch gibt es diese eine Aufnahme: Mahlers Erste mit dem Philadelphia Orchestra. Und sie ist schlicht großartig.

Ein Orchester, das Mahler besser konnte, als man dachte

Philadelphia wird in Mahler-Zusammenhängen oft übersehen. Dabei hat Eugène Ormandy bereits in den 1930ern und 1940ern wichtige Mahler-Werke aufgenommen – wenngleich manchmal klanglich aus heutiger Sicht eher ein Fall für die Archivfreunde unter uns. Das Orchester selbst aber: hochmusikalisch, geschmeidig, groß im Klang.

Mutis Zusammenarbeit mit Philadelphia, die viele heute vor allem mit Strauss oder Verdi verbinden, bringt nun genau die Zutaten, die Mahler 1 braucht – und die so oft verloren gehen, wenn sich das Dirigat in Selbstbespiegelung verliert: Frische. Rhythmische Präzision. Leidenschaft ohne Larmoyanz.

Was Muti anders macht

Muti bringt keine Mahler-Melancholie, wie sie sonst so gern zelebriert wird. Er bringt Dringlichkeit, aber ohne Hektik. Er bringt Weite, aber ohne Verschwimmen. Sein Mahler ist weniger ein Spaziergang durch duftende Erinnerungen als eine Wanderung über eine sonnengetränkte, leicht steile Wiese, auf der gelegentlich auch mal ein ordentliches Gewitter aufzieht.

Das Allegro des ersten Satzes blüht bei ihm ohne falsche Sentimentalität.
Der Scherzo tanzt – wirklich tanzt –, mit jener bärbeißigen Energie, die Mahler selbst so liebte.
Und die berühmte Trauermarsch-Parodie im dritten Satz bleibt scharf konturiert, nie in süßlicher Verklärung steckenbleibend.

Vor allem aber: Das Finale explodiert nicht. Es wächst. Und wenn es dann explodiert, tut es das mit einer inneren Logik, die keine Effekte braucht.

Warum diese Aufnahme zu den besten gehört

Natürlich gibt es große Konkurrenz.
Kubelík in München – unsterblich frisch.
Boulez in Chicago – analytisch und leuchtend.
Bernstein überall – pathosgesättigt und oft berauschend.

Und doch bleibt diese Aufnahme von Muti und Philadelphia ein geheimer Fixstern im Mahler-Universum: Weil sie die Musik atmen lässt, weil sie das Ringen in der Musik zeigt, ohne sich selbst wichtig zu machen. Weil sie Mahler spielt, als sei er noch lebendig – nicht als sei er längst Teil des musealen Inventars.

Fazit: Manchmal sind es die leisen Überraschungen, die bleiben

Man hätte Muti und Mahler vielleicht nie zusammen auf die große Rechnung gesetzt. Aber vielleicht braucht es gerade diesen scheinbaren Widerspruch, damit etwas gelingt, das weder Routine noch Repräsentation ist.

Diese Mahler-Erste klingt, als hätte jemand einen vergessenen Brief geöffnet – und festgestellt, dass das, was darin steht, genau jetzt noch wahr ist.

Ein Glück, dass diese Aufnahme existiert.


Komponist: Gustav Mahler

Titel: Sinfonie Nr. 1 »Titan«

Dirigent: Riccardo Muti

Orchester: The Philadelphia Orchestra

Erschienen bei: Warner Classics


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