The Cure »Songs of a lost world«
The Cure – Songs of a Lost World
Oder: Wie man mit Würde untergeht und dabei immer noch gut aussieht.
Es gibt Alben, die sind wie ein dramatischer Abschiedsbrief, bei dem das Papier nach Schwarztee und alten Parfumproben riecht. Songs of a Lost World von The Cure ist genau so ein Album – nur dass Robert Smith klugerweise darauf verzichtet hat, den Brief abzusenden. Stattdessen hat er ihn auf Vinyl gepresst.
Nach 16 Jahren Pause – einer Zeitspanne, in der andere Bands mindestens dreimal auflösen und sich zwischendurch auf NFT-Messen wiedervereinen – meldet sich The Cure zurück.
Nicht verkrampft jugendlich, nicht aufgesetzt modernisiert, sondern mit einem Satz aus Ernest Dowsons Gedicht Dregs:
»This is the end of every song that we sing.«
Wer an dieser Stelle noch auf ein flotteres Friday I'm in Love hofft, sollte vielleicht lieber seine Spotify-Playlists neu sortieren.
Zeitlupe in Moll
Songs of a Lost World klingt, als hätte sich die Band auf einen windschiefen Balkon gestellt, in den Sonnenuntergang geblinzelt und beschlossen: Wir spielen jetzt einfach, bis der letzte Ton mit uns untergeht.
Die acht Stücke – ja, acht, nicht achtzehn – nehmen sich jede erdenkliche Freiheit: lange Intros, schwebende Instrumentalpassagen, Klangwellen, die sich langsam aufbauen und manchmal fast wieder vergessen, dass sie überhaupt existieren.
Smith singt von Verlust, von Brüdern, die nicht mehr zurückkommen (I Can Never Say Goodbye), von Welten, die sich langsam entflechten.
Seine Stimme: weniger gealtert als vielmehr wie eingefroren in einer melancholischen Unzeit – eine Stimme, die Dinge nicht erklärt, sondern empfindet.
Die Instrumentierung schmiegt sich perfekt an diese Stimmungen an:
Verzerrte Gitarren (Reeves Gabrels), ein warm pochender Bass (Simon Gallup), präzis-traurige Drums (Jason Cooper) und Keyboards (Roger O’Donnell), die entweder den Frost in die Musik einweben oder ihr einen fast sakralen Unterton verleihen.
Kunst im Zerfall: Das Cover
Passend zur Musik zeigt das Cover eine zerfallende Steinskulptur des slowenischen Künstlers Janez Pirnat.
Ein Gesicht, dessen Konturen vom Zahn der Zeit bereits sanft aufgelöst wurden, als wäre es halb vom Wind gezeichnet, halb von der Erinnerung.
Es ist eine wunderbare Allegorie auf das Album selbst:
Nicht Zerstörung steht im Vordergrund, sondern das stille Nachgeben, das langsame Loslassen.
Die Vergänglichkeit wird nicht bejammert – sie wird beobachtet. Und dabei in eine Form gebracht, die fast schöner ist als das Ursprüngliche.
Es gibt kaum ein Covermotiv der letzten Jahre, das so präzise die Atmosphäre eines Albums trifft: Schönheit am Rand des Verfalls.
Es gibt kein Zurück. Aber schöne Umwege.
Musikalisch knüpft Songs of a Lost World dort an, wo Disintegration (1989) und Wish (1991) aufgehört haben: dunkel, verträumt, neblig – aber diesmal fast vollständig ohne die flüchtige Hoffnung auf Licht.
Gitarren kreisen wie Gedanken nach schlaflosen Nächten, Bässe pulsieren schwerfällig und schön, die Drums schlagen Rhythmen, die eher an Trauermärsche erinnern als an Hymnen.
Und doch: Alles klingt glasklar. Nichts matscht, nichts versumpft. Selbst in der Traurigkeit bleibt eine fast absurde Präzision.
Fazit: Keine Nostalgie. Nur Wirklichkeit.
Songs of a Lost World ist kein Spätwerk, das sich an den Glanz alter Zeiten anlehnt.
Es ist ein Album, das genau weiß, was es ist:
Ein melancholisches Monument. Ein klingendes Vermächtnis – nicht aus Nostalgie, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass Schönheit manchmal gerade im Zerfall liegt.
Nicht für den schnellen Genuss. Nicht für Menschen, die Musik auf die Länge eines Cappuccinos reduzieren.
Aber für alle, die bereit sind, die Zeit anzuhalten, während draußen die Welt weiterläuft.
Manche Platten sind wie ein schönes Zimmer, in dem man sich gern aufhält.
Songs of a Lost World ist eher ein verfallenes Herrenhaus – aber eines mit Teppichen, auf denen noch die Musik der früheren Bewohner nachklingt.
Titel: Songs of a lost world
Interpret: The Cure
Erschienen bei: Polydor Records
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