Rufus Reid »It’s the Nights I Like«
Eine Musik wie das Licht in einer Hotellobby um 2:13 Uhr
Es muss nicht immer der Knall sein. Manchmal ist es das Flackern. Das leise Anschwellen eines Tons, das nicht kommt, um zu bleiben, sondern um zu deuten. It’s the Nights I Like, das Duo-Album des Kontrabass-Grandseigneurs Rufus Reid und des pianistischen Wunderlichters Sullivan Fortner, ist genau solch ein Deutungsangebot. Eine musikalische Konversation bei gedämpftem Licht, in der keine Pointe zwingend an den Satzendehaken gehängt wird – und in der gerade deshalb jedes Detail leuchtet.
Denn wer dachte, ein Bassist und ein Pianist würden sich im klassischen Duo-Setting brav die Bälle zuspielen wie zwei leicht angeheiterte Tennisspieler bei fortgeschrittener Dämmerung, liegt hier falsch. Reid ist kein Begleiter. Er ist ein Architekt. Seine Linien bauen Räume, keine Bögen. Und Fortner, dieser junge Tastenalchimist, hat ganz offensichtlich beschlossen, die große pianistische Geste durch ein großes Einfühlungsvermögen zu ersetzen.
Wie sie das machen? Nun – mit allem, was nicht im Handbuch steht. Der Bass, aufgenommen in Marc Ursellis klangfeiner Manufaktur namens East Side Sound in Manhattan, klingt hier nicht wie Bass, sondern wie eine dialektisch verfeinerte Version von Schwerkraft. Man hört, dass Reid seine Frequenzen seit Jahrzehnten kennt wie andere ihre Hausnummer. Wenn er auf Mingus’ »Duke Ellington’s Sound of Love« spielt, ist das keine Interpretation. Es ist ein innerer Monolog mit Seitenlage. Und auf Jimmy Rowles’ »The Peacocks« verwandelt sich sein Instrument in eine Art gestrandeten Himmel: tief, hell, vorsichtig unbestimmt.
Fortner dagegen balanciert sein Spiel auf einem Drahtseil aus Eleganz und Ökonomie. Er spielt nie zu viel. Nicht einmal zu genau. Er spielt das, was fehlt – nicht das, was nötig wäre. In »Sophisticated Lady«, solo vom Bass angestimmt, tanzt das Klavier um die Melodie wie eine wohlmeinende, wenn auch etwas scheue Begleitung beim Abschlussball. Nie im Weg, aber stets im Takt.
Das Titelstück, »It’s the Nights I Like«, ist ein Samba, wie ihn nur Menschen spielen, die wissen, dass Samba auch etwas mit Stille zu tun hat. Der Rhythmus schleicht sich nicht ein, er wartet bereits auf einen. Und das Eröffnungsstück »Always in the Moment«, mit einem Einstieg, der an »The Peacocks« erinnert, wirkt wie ein musikalischer Vorsatz: Ich werde nichts sagen, was ich nicht meine.
Die Aufnahmequalität? Eine Art akustischer Seide. Es ist fast unverschämt, wie klar der Bass gezeichnet ist – als hätte jemand versucht, Tiefe in feine Linien zu übersetzen. Urselli, der Toningenieur, hat nicht aufgenommen, sondern konserviert. Nicht die Klänge, sondern den Raum dazwischen. Man hört nicht nur die Musik, sondern auch das Aufatmen der Stille danach.
Natürlich ist das Ganze auch nostalgisch. Reid, Jahrgang 1944, bringt jenen Gummi-Feder-Bassklang der 70er-Jahre mit, der einst gegen zu laute Bands anbrüllte – und heute klingt, als würde er das Wohnzimmer streicheln. Fortner, 1986 geboren, bringt wiederum eine Reife mit, die sich vor allem darin zeigt, dass sie sich nicht zeigen muss. Gemeinsam erinnern sie daran, dass Virtuosität nichts mit Fingerfertigkeit, sondern mit Geduld zu tun hat.
Und so schleicht sich dieses Album nicht in die Gehörgänge, sondern in die Stimmungen. Es ist Musik für Momente, in denen man nicht entscheiden möchte, ob man noch aufbleiben oder schon schlafen gehen sollte. Musik, die auch dann noch wirkt, wenn der letzte Ton längst verklungen ist.
Oder wie ein Freund einmal sagte, nachdem er das Album gehört hatte: „Das ist nicht Musik, das ist gute Gesellschaft.“
Komponist: Gustav Mahler
Titel: Sinfonie Nr. 1 »Titan«
Dirigent: Riccardo Muti
Orchester: The Philadelphia Orchestra
Erschienen bei: Warner Classics
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