Ravel Piano Concertos
Ravel & Samson François – französischer geht’s nicht (außer vielleicht mit Baguette)
Man kann über die französische Musiktradition vieles sagen – sie ist raffiniert, farbenreich, duftend wie ein gutes Eau de Toilette und gelegentlich so empfindlich, dass man das Gefühl hat, schon durch das Zuhören etwas zerbrechen zu können. Und dann kommt Samson François, setzt sich ans Klavier – und alles ist da: Licht, Luft, Poesie. Und Rhythmus. Und Eleganz. Und ein Hauch Wahnsinn.
Die Rede ist von Ravels beiden Klavierkonzerten, eingespielt mit dem Orchestre du Conservatoire de Paris unter der Leitung von André Cluytens. Eine dieser Aufnahmen, bei denen man sich fragt, warum überhaupt jemals jemand versucht hat, sie zu übertreffen.
Einmal G-Dur mit allem, bitte
Das Konzert in G-Dur ist ohnehin ein Rätsel. Es beginnt mit einem Peitschenknall, als hätte Ravel beim Komponieren kurz an Gershwin gedacht, nur um dann mit einer Mischung aus Jazz, mechanischem Tanz und neoklassischer Noblesse durch Paris zu schlendern.
Samson François spielt das nicht, er lebt es. Sein Anschlag ist federleicht und unverschämt brillant, die Phrasierung geschmeidig wie Ziegenkäse im Spätsommer. Kein Ton klingt geplant – und doch ist alles durchdacht. Selbst im poetischen Adagio bewegt er sich nicht wie jemand, der stillsteht, sondern wie jemand, der träumt, während er läuft.
Das Orchester unter Cluytens übertrifft sich selbst. Der Klang hat Farben, die man bei anderen Aufnahmen nur als Aquarell erahnt. Holzbläser flirten mit der Harfe, die Streicher schweben, und das Finale rauscht heran wie eine Ballettszene auf Rädern. Kein Kitsch, keine Überzeichnung – einfach ein perfekt gespieltes Stück französischer Klangkunst.
Und dann: das linkshändige Konzert
Ravels Konzert für die linke Hand ist ein völlig anderes Tier. Dunkler, schwerer, orchestraler. Geschrieben für den Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verlor – und trotzdem spielte. Die Herausforderung: Ein einziger Pianist soll mit einer Hand klingen wie zwei – und das möglichst unauffällig.
François gelingt das mit stupender Selbstverständlichkeit. Nichts wirkt angestrengt. Die Melodien fließen, der Puls bleibt lebendig, und selbst die massiven Akkorde, die einem halben Klavierwettbewerb gleichen, klingen kontrolliert und transparent. Cluytens lässt das Orchester dabei nicht in Pathos ertrinken, sondern strukturiert den Klang mit Überblick. Ravel hätte vermutlich zufrieden geschnaubt. Oder das Partiturpapier gebügelt.
Warum ist diese Aufnahme so gut?
Vielleicht, weil hier alles zusammenkommt:
Ein Pianist, der Ravel nicht „interpretiert“, sondern versteht.
Ein Orchester, das nicht nur korrekt spielt, sondern klingt.
Ein Dirigent, der nicht dekoriert, sondern führt.
Und ein Klangbild, das auch nach Jahrzehnten noch frisch wirkt – als wäre alles gestern aufgenommen worden, aber mit mehr Geschmack.
Dass Samson François nicht immer für seine technische Zuverlässigkeit berühmt war, ist bekannt. Dass er hier aber alles trifft, was man treffen muss – inklusive Herz und Verstand – macht diese Einspielung umso kostbarer.
Fazit
Wer Ravels Klavierkonzerte liebt, wird hier seine Referenz finden.
Wer sie noch nicht kennt, sollte mit dieser Aufnahme beginnen.
Und wer denkt, französische Musik sei nett, aber ein bisschen vage – wird nach diesen 60 Minuten wahrscheinlich spontan anfangen, Pastis zu trinken und über Klangfarben zu diskutieren.
Zurecht. Denn besser wird’s nicht.
Komponist: Maurice Ravel
Titel: Concertos etc.
Interpret: Samson François
Dirigent: Andre Cluytens
Orchester: Orchestre De La Société Des Concerts Du Conservatoire
Erschienen bei: EMI / Warner Classics