Schumann Symphonie Nr. 3 »Rheinische«
Giulini in Amerika oder: Wie ich lernte, Schumann zu lieben.
Manche Komponisten sind wie gut gemeinte, aber unpraktische Geburtstagsgeschenke. Schumann ist so einer. Jeder redet wohlwollend über ihn, er steht in jedem gutsortierten CD-Regal, und doch greift man dann lieber zu Bruckner, weil der irgendwie gewichtiger wirkt, oder zu Mahler, weil der die interessanteren Neurosen hat. Und dann gibt es jene Momente der Offenbarung, in denen man begreift, dass man einem alten Bekannten jahrzehntelang unrecht getan hat. In meinem Fall geschah das mit der »Rheinischen Symphonie« in der Aufnahme von Carlo Maria Giulini mit der Los Angeles Philharmonic.
Giulini, der Aristokrat unter den Dirigenten – immer mit Haltung, nie auf Effekthascherei aus – hat eine Gabe: Er kann Musik so entschlacken, dass sie in ihrer besten Version erscheint, ohne dass man den Eindruck hat, sie sei mit dem Sparschäler bearbeitet worden. Schumanns Problem war ja, dass er beim Orchestrieren zu viel auf Sicherheit setzte, vermutlich weil er wusste, dass er als Dirigent kein Wunder war. Also verdoppelte und verdreifachte er Instrumentengruppen, bis der Holzbläsersatz klang, als hätte jemand versehentlich die Vorhänge vor die Lautsprecher gezogen. Mahler hatte Mitleid und hat hier und da ein bisschen nachjustiert – nicht viel, aber genug, damit man mal hört, dass es Oboen gibt.
Giulini dirigiert die »Rheinische« mit einer noblen Lässigkeit, die einen vergessen lässt, dass Schumann sich harmonisch gerne mal im Kreis dreht wie eine Ente auf einem zu klein geratenen Teich. Er gibt der Musik Raum zum Atmen, vermeidet gehetzte Tempi, aber sorgt doch dafür, dass die Musik nach vorne will. Vor allem die Hornstimmen singen so herrlich, dass man kurz darüber nachdenkt, ob es nicht doch eine gute Idee wäre, noch mal das Waldhorn aus dem Keller zu holen – ein Gedanke, den man aber erfahrungsgemäß besser nicht in die Tat umsetzt.
Und dann der berühmte vierte Satz. Der ist ja eine Art Vertonung des Kölner Doms, jedenfalls wenn man sich an das gängige Narrativ hält. Der liturgische Ernst dieses Satzes verleitet manche Dirigenten dazu, ihn zu einem bleischweren Trumm werden zu lassen. Giulini aber nicht. Er nimmt ihn ernst, aber nicht zu ernst. Es bleibt Musik, keine Kathedrale in Klang gegossen.
Und das Finale? Nun, sagen wir es so: Wer mit Mahler vertraut ist, wird hier einiges wiedererkennen. Schumann war kein Mann der Ironie, aber es ist doch erheiternd, dass das Hauptmotiv von Mahlers Erster im Grunde schon in der *Rheinischen* steckt. Giulini macht daraus genau das, was es sein soll: eine festliche, aber nicht überdrehte Schlussgeste.
Kurz gesagt: Wer Schumann bisher für einen netten, aber etwas farblosen Zeitgenossen hielt, sollte dieser Aufnahme eine Chance geben. Es könnte sein, dass man am Ende mit einem leicht schuldbewussten Blick auf all die Jahre zurückschaut, in denen man diesen wundervollen Komponisten links liegen ließ.
Komponist: Diverse
Titel: Giulini in America
Dirigent: Carlo Maria Giulini
Orchester: Los Angeles Philharmonic
Erschienen bei: Deutsche Grammophon