Shostakovich Symphonie Nr. 7 »Leningrad«
Manchmal fragt man sich ja, was der Tag noch so bringen mag. Der Kaffee war lauwarm, die Post bestand aus Rechnungen, und das Wetter war grau wie eine auf links gedrehte Jogginghose. Doch dann – dann legt man Neeme Järvis Aufnahme von Schostakowitschs Siebter ein und das Leben wird schlagartig ein anderes. Die Leningrader! Ein Monument der Musikgeschichte, eine Sinfonie, die gleichermaßen Panzerschlachten vertont wie den Moment, in dem man merkt, dass man die Milch vergessen hat.
Nun gibt es ja viele Aufnahmen dieser Sinfonie, denn Dirigenten lieben es, sich an ihren ausufernden Strukturen die Zähne auszubeißen. Doch wenige tun es mit einer solchen Grandezza wie Järvi mit dem Royal Scottish National Orchestra (damals noch ohne den königlichen Anstrich, aber schon mit Wumms). Der Mann zieht das Ding in sagenhaften 69 Minuten durch. 69 Minuten! Das ist in Leningrad-Zeitrechnung quasi ein Espresso-Shot, denn andere schaffen es locker auf 80 oder mehr, was bei Schostakowitsch oft einem unfreiwilligen Stadtbummel im Schneematsch gleicht. Järvi aber denkt sich: Nein, hier wird nicht getrödelt, hier wird marschiert, und zwar mit Energie, die eine sibirische Dampflok vor Neid erblassen lässt.
Das erste Problem dieser Sinfonie ist ja, dass der erste Satz nicht einfach nur die legendäre Bolero-Variation mit Snare Drum und sich zuspitzender Orchestrierung ist. Das ist ja der Teil, der einfach läuft, weil Krieg immer eine gruselige Eigendynamik hat. Viel schwieriger ist das Drumherum: das sanfte, fast idyllische Eröffnen, das schleichende Aufbauen der Spannung. Und Järvi? Der hält die Balance perfekt. Er hat verstanden, dass Stillstand hier tödlich ist, dass sich das alles bewegen muss, dass das Geschehen nicht zum bloßen Warten auf die Apokalypse verkommt.
Und dann der zweite Satz, dieses leicht makabre Scherzo, das in falscher Hand klingen kann wie ein betrunkener Clown auf einem Kindergeburtstag. Hier aber hat es die richtige Mischung aus Eleganz und bissiger Ironie. Järvi weiß, wann er die Zügel anziehen muss, damit aus Schostakowitschs Zynismus keine bloße Karikatur wird.
Der dritte Satz? Nun, da neigen manche dazu, sich allzu sehr in der Weite der Klanglandschaft zu verlieren – aber nicht Järvi. Es bleibt intensiv, atmend, voller Bedeutung. Und dann: das Finale. Ach, das Finale! Hier könnten wir jetzt klug daherreden über Formstrukturen und motivische Entwicklungen, aber letztlich will man doch einfach, dass es einen mitreißt, dass es donnert, dass es mit Pauken und Trompeten (und allem, was das Orchester sonst noch zu bieten hat) in eine Art musikalische Katharsis führt. Und das tut es. Es bricht nicht auseinander, es sackt nicht ein, es kracht und zischt genau so, wie es soll.
Die Chandos-Aufnahme selbst ist eine wahre Freude. Der Sound ist brillant, die Dynamik grandios. Wo andere sich im akustischen Morast verheddern, bleibt hier alles klar, transparent und durchschlagend. Und am Ende sitzt man da, leicht atemlos, aber beseelt, und denkt sich: So, und jetzt brauche ich einen Schnaps.
Fazit: Wenn Leningrad, dann gerne so. Hört rein, es lohnt sich.
Komponist: Dmitri Shostakovich
Titel: Symphony No. 7 - The »Leningrad«
Dirigent: Neeme Järvi
Orchester: The Royal Scottish National Orchestra
Erschienen bei: Chandos