R. Strauss »Eine Alpensinfonie«

Eine Alpensinfonie – Musik für Bergziegen mit Hang zur Dramatik

Es gibt Werke, die schon bei der bloßen Erwähnung ein ehrfürchtiges Nicken hervorrufen – Beethovens Neunte, Mahlers Auferstehungssinfonie, Bachs Matthäuspassion. Und dann gibt es Eine Alpensinfonie von Richard Strauss. Diese provoziert eher Reaktionen wie: „Ach ja, das mit den Kühen.“ Oder: „Ist das die mit dem Wind- und Donnermaschinenkram?“ Oder gar: „Wirklich eine Sinfonie? Ich dachte, das wäre ein Soundtrack zu einem Bergsteigerfilm aus den 20ern.“

Nun, all das ist nicht ganz falsch. Und trotzdem verdient dieses Stück eine Ehrenrettung, denn es ist bombastisch, gigantisch, eine Art musikalischer Erlebnispark mit Stationen wie „Aufstieg“, „Gipfel“ und – für die weniger Geübten – „Sturz ins Bodenlose“. Und wenn man sich darauf einlässt, erkennt man: Das ist gar kein Alpen-Kitsch, das ist großes Kino.

Eine Sinfonie, die auf alles vorbereitet ist – inklusive Rinder

Der Grundgedanke von Strauss war ja, eine Wanderung auf einen Berg in Musik zu gießen – mit allem, was dazugehört: Nebelschwaden am Morgen, Almwiesen mit glücklichen Kühen, sonnigen Höhen und einem tosenden Gewitter, das den Wanderer ordentlich durchrüttelt. Mahler hätte bei diesem Gewitter eine metaphysische Krise durchlebt, seine Seele hätte sich flackernd zwischen Himmel und Erde aufgelöst. Bei Strauss ist es einfach – nun ja – ein verdammt ungemütliches Wetter. Mit echten Rindviechern, nicht symbolischen.

Die perfekte Aufnahme? Da kommt die BR-Kuhherde ins Spiel

Wenn es um Eine Alpensinfonie geht, dann gibt es unzählige Aufnahmen. Man könnte meinen, jeder Dirigent, der jemals ein Sinfonieorchester in die Finger bekam, hat sie mindestens einmal aufgenommen. Aber eine ragt heraus: Georg Solti mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Nun ist Solti nicht unbedingt bekannt für seinen subtilen Umgang mit Musik. Der Mann hatte, wenn man es freundlich ausdrücken möchte, einen etwas forschen Zugriff auf seine Partituren. Aber hier, in dieser Sinfonie der Superlative, spielt das keine Rolle. Denn genau dieser forsche Zugriff ist hier von Vorteil. Wo andere sich im romantischen Schwelgen verlieren, packt Solti die Musik und trägt sie mit eisernem Griff den Berg hinauf.

Das Wichtigste aber: Das Gewitter in dieser Aufnahme ist ein Naturereignis, das selbst Thor vor Ehrfurcht erstarren lassen würde. Der Donner kracht nicht einfach irgendwo im Hintergrund, wie ein Praktikant, der mit einem Stück Blech wedelt, sondern es klingt, als hätte das Orchester beschlossen, mit einer explodierenden Gebirgskette zu konkurrieren. Es ist laut, es ist massiv, und es ist das einzige Mal in der Geschichte der Tonaufzeichnung, dass ein Donnerblech nicht völlig peinlich klingt.

Tempo, Tempo – oder warum diese Aufnahme funktioniert

Solti nimmt sich für diese Wanderung knapp 44 Minuten Zeit. Das ist schnell. Aber das ist auch gut so, denn wenn ein Dirigent auf diesem Berg zu lange herumtrödelt, bekommt die Musik etwas unfreiwillig Komisches. Niemand will eine Alpensinfonie, die klingt, als hätte der Wanderer nach jeder Weggabelung erstmal eine Pause mit Butterbrot eingelegt.

Hier aber läuft alles rund: Die Gipfelerfahrung ist strahlend, die Sturzbäche donnern, die Bläser klingen, als würden sie tatsächlich von einer Felswand schmettern. Und dann diese Rückkehr ins Tal! Kein schleppendes, sentimentales Zurückblicken, sondern ein würdevoller, fast erleichterter Abstieg. Man hat überlebt – und eine Sinfonie gehört, die mehr ist als nur ein Klangpanorama mit Hirtenseligkeit.

Fazit: Eine Sinfonie für Leute, die Berge lieber hören als besteigen

Eine Alpensinfonie bleibt ein kurioses Werk. Eine Mischung aus Naturfilm, Konzertsaaldrama und akustischem Höhenflug. Aber in den Händen von Solti wird es zu einem der spannendsten Abenteuer, die Strauss je komponierte.

Also: Wer jemals einen wirklich lauten, wirklich guten Orchestersturm hören möchte – und sich nicht zu schade ist, eine kleine musikalische Wanderung zu unternehmen –, sollte hier zugreifen. Aber bitte mit ordentlichen Lautsprechern. Sonst klingt das Donnergrollen am Ende doch wieder wie ein unmotivierter Küchenunfall.

Hört euch das an, Freunde. Es lohnt sich.


Komponist: Richard Strauss

Titel: Strauss, R.: Ein Heldenleben; Also Sprach Zarathustra; Don Juan, etc.

Dirigent: Sir Geork Solti

Orchester: Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Erschienen bei: Decca Music Group Ltd.


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